Stellungnahme für die Sammlung der Patchwork Gilde Deutschland e.V.
Brigitte Kopp: Burnout
ausgestellt bei Tradition bis Moderne X - Quilts 2014
98 x 120 cm (H x B)
Seide, teilweise selbst bemalt, Baumwolle, Kordeln, diverse Seiden- und Baumwollgarne
Patchwork mit Biesen und eingenähten Kordeln
Hand- und maschinengequiltet
Brigitte Kopp – ein shooting star in der Szene. Erst 2009 entsteht ihr erster Quilt und bereits 2009/10 werden ihre Arbeiten bei so renommierten Wettbewerben wie der Europäischen Quilt-Triennale oder der World Quilt Championship angenommen und ausgestellt und – noch besser – in der Folge nicht selten mit Preisen ausgezeichnet.
Geboren in Berlin, wächst Brigitte Kopp in einer Schneiderei auf, die für die Oper und die Pariser Couture tätig ist. Stoffreste stehen ihr zur Verfügung und so lernt sie schon früh den Umgang mit Nadel und Faden. Um sich ihr Kunst- und Musikstudium zu finanzieren, arbeitet sie später mit, konzentriert sich dann jedoch beruflich zunächst auf die Musik. Anfang der neunziger Jahre bemalt sie Stoffe für individuelle Kleidung, findet 2007 zu Patchwork und dann, 2009, ihr erster Quilt.
Mir persönlich fällt ihre doppelseitige Arbeit „Alzheimer“, die sie 2009 kreiert, in der Textilsammlung Max Berk in Heidelberg bei der Ausstellung der 4. Quilt-Triennale, die im Oktober 2009 eröffnet wird, besonders ins Auge. Vielleicht deshalb, weil ich mich gerade zuvor selbst mit diesem Thema in meinem Quilt „Demenz“ auseinandergesetzt hatte, vielleicht aber auch deshalb, weil „Alzheimer“ einfach aus dem Rahmen des damals Üblichen fällt: Obwohl nur noch wenige Quilts, die beispielsweise in Heidelberg zu sehen waren, formal-gestalterische Aspekte in den Mittelpunkt stellen, sind Werke mit gesellschaftlichen, politischen oder zeitkritischen Sujets bei Quiltausstellungen immer noch erst im Kommen. Natur, Umwelt, Persönliches und sozialer oder geschichtlicher Hintergrund werden zunehmend thematisiert. Übrigens damals ein Grund für mich, Brigitte Kopp zur Teilnahme an der von mir kuratierten und organisierten Ausstellung „Zeichen der Zeit“ (2012 - 15) einzuladen.
Auch das Thema „Burnout“ ist eins unserer Zeit. Immer mehr Menschen geraten durch Zeitdruck, Arbeits- oder Doppelbelastungen oder auch durch ihren Perfektionismus in einen Zustand emotionaler Erschöpfung mit reduzierter Leistungsfähigkeit, leiden unter Frustrationen, Desillusionierung, Apathie, Depressionen, Aggressivität – dem Burnout-Syndrom, so Brigitte Kopp.
Sie beobachtet ihre Umwelt und das Zeitgeschehen und bezeichnet ihre Arbeiten als Kommentare und Geschichten dazu sowie zu den Interaktionen der Menschen und versteht ihre Werke auch als Kritik an politischen und sozialen Entscheidungen, die sich auf die Umwelt auswirken. So fügt sich auch „Burnout“ in die Reihe ihrer Arbeiten, in denen sie sich außerdem Themen wie z.B. Kindesmissbrauch, Angst und Furcht oder Frauenthemen wie Ausbeutung oder Überforderung widmet und die sie international ausstellt.
Mit „Burnout“ nimmt sie an der Ausstellung „Tradition und Moderne X“ (2013 von der Patchwork Gilde Deutschland e.V. für ihre Mitglieder ausgeschrieben), die nach der Eröffnung im Mai 2014 in Einbeck noch wanderte, teil. Im Zentrum dieser Arbeit steht eine weibliche Gestalt, eine Seidenmalerei des „stürzenden” Menschen, während im oberen Teil die Zifferblätter von Uhren, vom Quilting unterstützt, den Zeitdruck andeuten, unter dem der Mensch steht und im unteren Teil der Sumpf dargestellt wird – stellvertretend für den Burnout mit dem gequilteten Morselinien SOS – beide Teile getrennt durch eine schwarze unübersehbare Kordel. Allein schon durch die starke Farbgebung tritt die Seidenmalerei hervor und zieht den Blick des Betrachters an. Dieses Zentrum wird weiter betont durch die dicken schwarzen Linien, die die Gestalt umfangen – wird sie gehalten, gefangen gehalten? Können die in eine andere Richtung laufenden Signale die Grenze, dargestellt durch die Kordel, durchdringen? Werden die Hilfeschreie gehört?
Brigitte Kopp, die keine Botschaften verkünden, sondern die Emotionen der Betrachter und ihre Bereitschaft zur Auseinandersetzung wecken will, bleibt sich auch mit dieser Arbeit treu. Ihre Bildidee steht nur scheinbar im Vordergrund. „Die Aussage, so konkret sie auf den ersten Blick auch zu sein scheint, soll immer das Weiterdenken, das drüber Nachdenken anregen“, schreibt sie in ihrem Artist’s Statement. Dies ist auch mit „Burnout“ gelungen. Der Quilt berührt und sicher fallen dem Betrachter, der die Arbeit auf sich wirken lässt, außer den oben genannten noch weitere Fragen und Aspekte ein, über die man sich trefflich Gedanken machen kann.
„Burnout“ entsteht 2013 und wie Brigitte Kopp verrät, steht sie selbst unter Zeitdruck, als sie diesen Quilt aus drei älteren Arbeiten neu zusammensetzt – einem Verfahren, das übrigens in den letzten Jahren von einigen renommierten Quiltschaffenden bisweilen praktiziert wird, mit ganz exzeptionellen Ergebnissen. Brigitte Kopp, die heute in einem kleinen Dorf im Spreewald südlich von Berlin lebt und sich ganz ihrer künstlerischen Arbeit widmet, hat viel zu tun. Sie nimmt nicht nur an einer Vielzahl von internationalen Wettbewerben teil – Veranstalter legen Wert darauf, ihre Arbeiten zu zeigen. Die Liste auf ihrer Website spricht für sich.
Sehr erfreulich, dass sich die Gilde dazu entschieden hat, „Burnout“ in ihre Sammlung aufzunehmen.
Quellen:
Tradition bis Moderne X – Quilts 2014, Ausstellungskatalog
4. Europäische Quilt-Triennale, Ausstellungskatalog
www.brigitte-kopp-textilkunst.eu
Gudrun Heinz, März 2017