Stellungnahme zu Schenkung von Brigitte Morgenroth für die Sammlung der Patchwork Gilde Deutschland e.V.
Antike Amish-Quilts
Die Schenkung
Brigitte Morgenroth, langjähriges Gildemitglied, hat der Patchwork Gilde Deutschland e.V. ein Geschenk von sechs antiken Amish-Quilts zukommen lassen. Diese sechs Quilts sind seit den 1990er Jahren in ihrem Besitz. Sie hatten damals beim Erwerb einen hohen Wert. Inzwischen ist der monetäre wie der ideelle Wert dieses Geschenkes gewiss gestiegen, da diese Quilts authentisch das wiedergeben, was in den Jahren 1860 – 1930 in den Amish-Gemeinden an Quiltarbeiten hergestellt wurden.
Von allen sechs Quilts sind Rechnungen und Expertisen vorhanden von den Fachhändlern Eva und Peter Ziegler, Chiemgau, die das Spezialgebiet Amish-Quilts vertraten. Altersbeding weisen die Quilts kleine Beschädigungen auf, die fotografisch dokumentiert sind. Eine Restaurierung ist nicht vorgesehen.
Es ist ein großer Glücksfall, dass Frau Morgenroth diese antike Quilts, die ein breites Spektrum der Quiltkunst der Amish-Frauen zeigen, unserer Sammlung anvertraut. Es wird ein Gewinn sein für die Sammlung und eine Bereicherung für zukünftige Generationen, die sich daran erfreuen können.
Um ein Geschenk voll würdigen zu können, muss man erst verstehen, was das Geschenk beinhaltet. Die bekannte amerikanische Quilterin Roberta Horton sagt dazu:
„Quilts sagen viel aus über die Menschen, die sie gemacht haben und die Zeit, in der sie entstanden sind. Um Amish-Quilts zu verstehen und zu schätzen, braucht man ein wenig Hintergrundwissen über die Amish und wer sie eigentlich sind“
(Roberta Horton. 1983)
Geschichtlicher Hintergrund
In den Wirren der europäischen Religionskriege des 16. Jahrhunderts bildete sich unter der Führung von Menno Simon eine Sekte, deren religiöse Ziele weit über die Lehren der protestantischen Kirche hinausgingen. Diese sogenannten Mennoniten strebten eine Trennung von Staat und Kirche, ein asketisches Leben nach der Bergpredigt, und freie Religionsausübung an. Nach grausamen Verfolgungen gab es für diese Menschen endlich die Möglichkeit nach Pennsylvanien in den USA auszuwandern. Dieser Staat war 1682 von dem Quäker William Penn gegründet, und hier wurden allen Einwanderern freie Religionsausübung zugesichert. Das führte im 18. Jahrhundert zu einer großen Auswanderungswelle, und in ganz Pennsylvanien entstanden eigene verwaltete und selbst versorgende Dörfer und Gemeinden.
Schon in Europa spaltete sich unter der Führung des Mennoniten Predigers Jacob Ammon eine Glaubensgruppe heraus, die eine noch strengere und entbehrungsreichere Lebensführung anstrebte. Diese sogenannten „Old Order Amish“, die konservativste Sekte, ließ sich hauptsächlich in Lancaster County nieder. Glaubensgemeinschaften, die eine etwas offenere und freiere Lebensführung bevorzugten, zogen allmählich nach Mifflin County, nach Holmes County in Ohio und nach Indiana weg. Diese Entwicklung spiegelt sich auch in den unterschiedlichen Designs der sechs hier beschriebenen Amish-Quilts wieder.
Auf Spurensuche
Als die Amish sich auf dem Weg in den USA begaben, wurde in Europa nachweislich Patchwork genäht. Aus diesem kulturellen Erbe sind kaum Zeugnisse vorhanden, denn Quilts wurden aus abgetragener Kleidung genäht und schließlich durch den täglichen Verschleiß verbraucht. Aus dem 17. Jahrhundert befinden sich in den Museumssammlungen nur adelige und sakrale Applikationsarbeiten. Nähgarn und –nadeln waren bei den Amish-Frauen sicherlich mit im Gepäck bei der Einschiffung, denn in den großen Familien gab es immer Kleidung zu reparieren. Die Muster für Patchwork und Quilten, die nach und nach in den Amish-Familien auftauchen, sind wahrscheinlich eine Art „Gedächtnis-Protokoll“ von früheren einfachen europäischen Mustern, die nun hier in der neuen Welt umgesetzt wurden.
Man nähte großflächige geometrische Formen: Rechtecke, Dreiecke, Rauten, Streifen und Sterne. Die Designs sind unter dem sogenannten „Medaillon-Stil“ einzuordnen. Durch die statische Lebensweise der strengen Amish-Sekten, änderten sich über 200 Jahre ihre Patchworkmuster kaum. Kleinteiligere Patchworkmuster die als „schmückend und zu weltlich“ galten, wurden nur von den liberalen Sekten außerhalb Lancaster County benutzt.
Das Handquilten wurde auf den großen einfachen Designs umso intensiver perfektioniert: üppige organische Formen, oder Doppeltlinien und Kreuzungen wurden mit winzigen Vorstichen ausgeführt. Das Quilten sollte Gottgefällig sein, wobei Stolz und Hervorheben der eigenen Person in diesem Zusammenhang verpönt und verwerflich galt. Dekorativer Schmuck stufte man als unerwünschter Überfluss ein. Beim Quilten zeigt sich noch einmal die anerzogene Bescheidenheit der Frauen: man quiltete mit Garn in der Farbe des Stoffes. Dadurch waren die Quiltlinien mehr durch die Schattenwirkung der Linien als durch die feinen Stiche selbst sichtbar. Trotzdem hauchen die Quiltmuster den strengen Formen individuelles Leben ein. Und dabei ist es gerade das Quilten, das diese Amish-Quilts zur Weltklasse erheben.
Das dichte quilten hatte auch einen praktischen Aspekt. Es machte die Quilts haltbarer und strapazierfähiger im täglichen Gebrauch. Die meist quadratischen großformatigen Quilts lassen vermuten, dass mehrere Familienmitglieder unter einer Decke schlafen mussten.
Das Material
Sämtliche Kleidungsstücke für die Familie wurden von den Frauen genäht. Deshalb können wir davon ausgehen, dass der Restekorb immer gut gefüllt war. Ziel war es aber nicht kleinteilige Quilts zur Schau zu stellen, um das eigene Können zu zeigen. Der gemeinschaftliche Zusammenhalt galt der Gruppe mit ihren Regeln, „die Ordnung“, deshalb strebten die Frauen in ihrem Tun nach traditionellen ästhetischen Quilts in perfekter Ausführung, und nur kleine Abweichungen waren geduldet.
In Lancaster County war das Material Wolle, während die liberaleren Sekten auch Baumwolle und Seide benutzten. Die großen benötigten Stoffteile wurden bei dem jährlichen Stoffeinkauf für die Familie mit berechnet. Das Farbspektrum für die Quilts ergab sich aus den Kleiderfarben: Erdfarben, Braun- und Grüntöne, Abstufungen von Blau, Violett und Smaragd. Nur weiter westlich von Lancaster benutzte man viel Schwarz, um die Farben zum Leuchten zu bringen. Geschickt haben die Frauen mit warmen und kalten Farben, mit Hell und Dunkel gespielt, um die optimalste Wirkung zu erzielen. Die Füllung bestand meistens aus Rohwolle, später auch aus Baumwollflocken.
Bedeutung heute
Danksagung
Brigitte Morgenroth verdient einen großen Dank für ihr großzügiges Geschenk, das nun ein breiteres Publikum zu Gute kommen kann. Das Geschenk hat einen hohen kulturellen Wert, da Zeugnisse aus dieser Zeit kaum mehr dem Markt zur Verfügung stehen. Die sechs Amish-Quilts sind gewiss bei der Patchwork Gilde Deutschland e.V. gut aufgehoben. Wir sagen von ganzem Herzen: Danke!
Vorstand der Patchwork Gilde Deutschland e.V.
Die Jahrhunderte alte Amish-Kultur mit ihren ansprechenden Quilts, harmonisch in der Farbenwahl und handwerklich hervorragender Ausführung, stehen als Bindeglied zwischen der alten Kultur in Europa und der heutigen europäischen traditionellen Patchwork-Szene, die in den 1970ger Jahren bei uns ihren Siegeszug anfing. Es war die Zeit der monochromatische Malerei, der großflächigen Pop Art, und Mies van der Rohes: „Weniger ist mehr!“ war auch nicht vergessen. Dazu kam eine Sehnsucht nach Einfachheit und Harmonie. Das bringt Ordnung, Sicherheit und Stabilität in unsicheren Zeiten! Da entdeckte man das Besondere in den Amish-Quilts. Dabei sind die ungeschriebenen Regeln, die den Amish-Quilts zu Grunde liegen, von vielen heutigen Quilter aufgesogen und verstanden. Sie dienen als Quelle der Inspiration und werden in dem heutigen Zeitgeist vielfach nachgearbeitet und umgesetzt.
Helle Eggebrecht
Brigitte Morgenroth verdient einen großen Dank für ihr großzügiges Geschenk, das nun ein breiteres Publikum zu Gute kommen kann. Das Geschenk hat einen hohen kulturellen Wert, da Zeugnisse aus dieser Zeit kaum mehr dem Markt zur Verfügung stehen. Die sechs Amish-Quilts sind gewiss bei der Patchwork Gilde Deutschland e.V. gut aufgehoben. Wir sagen von ganzem Herzen: Danke!
Vorstand der Patchwork Gilde Deutschland e.V.