Stellungnahme für die Sammlung der Patchwork Gilde Deutschland e.V.
Pascale Goldenberg: Es gab ein Wäldle hinter meinem Häusle
ausgestellt bei Tradition bis Moderne IV (1998)
140 x 137 cm (H x B)
alle Stoffarten
gewebt, handbestickt, maschinengenäht, handgequiltet
„Wenn ich weiß, dass ich nur eine Woche Zeit habe, um einen Quilt zu nähen, dann nähe ich ihn in einer Woche. Und wenn ich nur drei Tage habe, dann mache ich ihn in drei Tagen“, erklärt mir die Powerfrau mit dem französischen Akzent einmal und stellt damit ihre Entschlossenheit dar. In Frankreich geboren und in Freiburg lebend ist Pascale Goldenberg heute nicht nur durch ihr eigenes textilkünstlerisches Schaffen international bekannt, sondern auch wegen ihres interkulturellen Engagements für die Stickerinnen in Afghanistan, die sie seit 2004 in Zusammenarbeit mit DAI (Deutsch-Afghanische Initiative e.V.) unterstützt, fördert und in die Öffentlichkeit gerückt hat.
Mit „Es gab ein Wäldle hinter meinem Häusle“ beteiligt sie sich an der Ausstellung „Tradition und Moderne IV“, die 1998 ausgeschrieben und bis 1999 mehrfach im Inland sowie beim 5. Europäischen Patchwork Treffen in Ste Marie-aux-Mines in Frankreich gezeigt wurde. Pascale Goldenberg ist ein Energiebündel und in höchstem Maße kreativ. Ihre Ideen, die nur so hervorsprudeln, setzt sie nach eigenen originellen Vorstellungen sehr erfolgreich um. Neben ihrem eigenen Schaffen und der Tätigkeit für ihre Familie unterrichtet Pascal Goldenberg und gibt ihre ideenreichen Herangehensweisen in Kursen oder auch in Artikeln für die Mitgliederzeitschrift der Gilde weiter.
Ihre Arbeiten werden schon in den Neunziger Jahren für Ausstellungen wie beispielsweise die der Quilt-Biennale, die das damalige Textilmuseum Max Berk in Heidelberg veranstaltete oder der von France Patchwork organisierten Ausstellung „Artextures“ angenommen, werden zusammen mit Werken von Ruth Eissfeldt, Dorle Stern-Straeter, Gabi Mett, Elsbeth NusserLampe oder Fanny Viollet präsentiert und fallen meist aus dem Rahmen des damals Üblichen.
So ist es auch mit „Es gab ein Wäldle hinter meinem Häusle“. Beim Durchblättern des Katalogs „Tradition und Moderne IV“ bemerkt man, dass die anderen Arbeiten überwiegend ein geschlossenes eckiges Format aufweisen, die Tops meist unter Einsatz von Patchwork- oder Applikationstechniken gearbeitet sind und dafür mehrheitlich Baumwoll-, Seiden- oder Leinenstoffe verwendet wurden. Hingegen gibt Pascale Goldenberg „alle Stoffarten“ an, die sie „gewebt, handbestickt, maschinengenäht und handgequiltet“ hat, um „Es gab ein Wäldle hinter meinem Häusle“ anzufertigen. Es sieht nach Dekostoffen und Reststücken aus der Konfektion und aus dem Bereich Heimtextilien in einer grünen und erdigen, braun-grauen Farbpalette aus und würde auch mit den Materialien übereinstimmen, die sie zu dieser Zeit für andere Arbeiten verwendet.
Im Zentrum der 140 x 137 cm großen Arbeit befindet sich ein aus verschiedenen kleinen Stoffstückchen unterschiedlicher Stoffqualitäten, Formen und Farben frei zusammengesetztes Patchwork-Feld, dessen seitliche Kanten entweder teilweise fransig aufgelöst oder in dieser Manier bestickt sind.
Seitlich schließen sich rechts und links zwei größere rechteckige Felder an, die aus demselben in verschiedenen Grüntönen diffus gemusterten Stoff bestehen, und unterhalb ein durch seine Webart strukturierter und Karos bildender Stoff in einem einfarbig grünen Farbton, dessen untere Kante offen blieb und ausfransen darf. Er nimmt nicht ganz die volle Breite der Arbeit ein und liegt wie eine zweite oder dritte Schicht unter dem unteren Rand des zentralen Mittelstückes und auf den beiden seitlichen grünen Feldern. Diese teilweise mit grauen, karogroßen Kreuzstichen bestickte Applikation hängt frei und bildet den unteren Teil des Werks.
Für den oberen, etwa ein Drittel der Höhe einnehmenden und über die ganze Breite des Werks durchgehenden Teil wurden verschiedene schmale Stoffstreifen mit Stoffschläuchen – alles in unterschiedlichen Formen und Stoffqualitäten – in Leinenbindung locker miteinander verwebt. Er ist in erdigen, braunen, grauen und wenigen grünlichen Farbtönen gehalten, im Wesentlichen mit an Grasbüschel erinnernden freien Handstichen mit grünem Garn bestickt und durch diese Handstickerei auf einen grauen und einen braunen Trägerstoff appliziert. Die oberen Enden der sich verjüngenden Schläuche werden nicht mehr von der Webbindung und Stickerei gehalten, sondern enden frei und in freien Formen und ragen teilweise über den oberen Rand der Arbeit hinaus, während sie am unteren Rand des Streifens beginnend, von den mittleren Stoffteilen in einer geraden Linie verdeckt, befestigt sind.
Nicht nur das zentrale kleine Patchwork-Feld erinnert mich an das Mittelquadrat eines Log Cabin-Blocks, sondern die ganze Arbeit ruft durch ihre Komposition eine gewisse Ähnlichkeit mit dem Blockhaus-Patchworkblock wach. Vielleicht beruht diese Assoziation auch auf dem Titel, so dass in diesem Fall das zentrale kleinste Feld ein Haus darstellt, das von verschiedenen Grünflächen, etwa einem Garten und Wiesen umgeben ist. Und hinter dem „Häusle“, das heißt hier also oberhalb, gab es einmal das „Wäldle“. Dafür sprechen die aus dem unteren Teil quasi „herausgewachsenen“ vegetabil anmutenden Schläuche, die dürren Zweigen oder blattlosen, auf ihre saft- und leblosen Stammreste reduzierten Bäumen gleichen – einem sterbenden oder bereits toten Wald.
In der Tat werden seit ungefähr 1980 großflächige Schädigungen des Waldes als „Waldsterben“ bezeichnet. Ein Umweltthema, das nicht nur zur Sorge Anlass gab, sondern zu bedeutenden öffentlichen Diskussionen führte und auch erhebliche politische und gesellschaftliche Auswirkungen in Deutschland hatte; so wandte die Bundesrepublik von 1982 bis 1998 beispielsweise enorme Millionenbeträge für die Erforschung der Schäden auf.
Es kann jedoch letztlich dahingestellt bleiben, ob Pascale Goldenberg das Waldsterben oder ein anderes Umweltproblem – wofür übrigens auch die Materialwahl spricht – wie z.B. die Abholzung der Regenwälder aus Profitgier oder die Versiegelung von Böden durch Bebauung o.ä. thematisiert hat. Umweltfragen sind bis heute aktuell und essentieller denn je (Stichwort „Klimawandel“) und so geht auch von dieser Arbeit noch immer ein Denkanstoß aus.
Auf diesem Hintergrund betrachtet, stellt Pascale Goldenberg mit ihrer – auch in der ihr eigenen, vergleichsweise unkonventionellen Machart – bemerkenswerten Arbeit ein gesellschaftlichpolitisches Sujet vor, was zu dieser Zeit – wie die im gleichen Katalog publizierten weiteren Arbeiten belegen – in der Quilt-Szene noch nicht verbreitet ist. Schon lange bezieht man jedoch im Bereich der Bildenden Kunst Position. Mit dem Betreten dieses wichtigen Terrains sendet Pascal Goldenberg zugleich auch eine Botschaft an andere Textilschaffende.
Obgleich die Mehrzahl der Besucher von Quiltausstellungen Insider sind, bleibt dennoch zu wünschen, dass ihr damit auch ein Beitrag zu den Bemühungen um öffentliche Wahrnehmung und Anerkennung der textilen Kunst gelang.
Die Aufnahme dieses Werks in die Sammlung der Patchwork Gilde Deutschland e.V. ist sehr zu begrüßen.
Quellen:
Tradition bis Moderne IV (1998), Ausstellungskatalog http://www.deutsch-afghanische-initiative.de/ https://de.wikipedia.org/wiki/Waldsterben
https://de.wikipedia.org/wiki/UN-Klimakonferenz_in_Paris_2015
Gudrun Heinz, Februar 2016